3. Mai 2018
Exkursion des PGW-Reli-Profils S2
Vom Sinn und Unsinn der Religion
Am Donnerstag, den 19.04., waren wir an der Universität Hamburg, wo der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Michael von Brück über den Sinn von Religion und über verschiedene Herangehensweisen der Religionen sprach.
Vor ihm leitete der Direktor der Akademie der Weltreligionen, Prof. Guiseppe Veltri, uns ein wenig in das Thema mit einem sehr interessanten Satz ein: „Nach Ankunft der Technik wird es keine Religion mehr geben.“
Die Vorlesung begann damit, dass Religion ein Phänomen sei, das der Menschheit einerseits Angst, andererseits aber auch keine Angst mache. Ist der Fanatismus ein Missbrauch von Religion oder ihr innewohnend? Hat man ein besseres Leben ohne Religionen? Von Brück zitierte einen bayerischen Politiker, der sagte: „Der Islam ist nicht identitätsstiftend und kulturprägend für unser Land“, was allerdings ein Widerspruch in sich ist. Ist der Buddhismus, das Christentum oder eine andere Religion denn identitätsstiftend für „unser Land“? Religionskritik ist ein wichtiger Aspekt, aber der Diskurs über Religionen muss klar, intellektuell und scharf sein.
Der Religionswissenschaftler stellte auf die Frage: „Was ist Religion?“, folgende Hypothese auf: „Religion ist das, was die Gesellschaft in ihrem kulturellen Handeln auf einen letztgültigen Horizont von Normen und Verhaltensweisen hin ausrichtet, die in Erzählungen als eine Begründung von Leben, Erzählungen, Reden und performativen Praktiken ständig neu begründet wird.“ Hierbei stellt Religion die Fragen: „Was ist der Sinn des Lebens?“ und „Was ist gutes Leben?“ in den Horizont. Diese kann man beantworten, indem man in einer Zitat-Kultur lebt und sein Tun damit begründet, was z.B. der Prophet Mohammed einmal gesagt hat. Oder aber man denkt selber darüber nach und fragt sich, was Leben sei und wie das Leben sein soll.
Die Religionen haben sich verändert und trotzdem behalten sie eine Art roten Faden bei. Sie werden ganz unterschiedlich interpretiert, meistens auch innerhalb einer Gruppe, die einer Religion angehört. Bei der Interpretation muss man sich bspw. fragen, wo Religion entstanden ist. Sie kann am Nil entstehen, an Polargebieten, am Äquator und an anderen Orten, die sie ganz unterschiedlich prägen durch ihre Bilder, Normen usw.
Dem Religionsbegriff kann man sich laut Prof. Dr. von Brück durch drei Herangehensweisen methodisch nähern: Religionskritik, Religionswissenschaft und Theologie.
1. Religionskritik: Denken
Man fragt sich, was Religion ist und muss den Religionsbegriff klären. Laut den Griechen, wie z.B. Sokrates, einem griechischen Philosophen seinerzeit, ist es ein Begriff, aus dem alles von sich herausgeht. Es ist das Gute, das Schöne, das Wahre. Ein Mensch braucht Ordnung und Halt. Und Religion gibt uns Sicherheit, Gemeinschaft, Kommunikation und Verständnis. Die Welt ist ein Kosmos, also eine geordnete Welt und diese Ordnung wird geprägt von der Unordnung. Diese Ordnung muss sich im Denken widerspiegeln (laut Platon, einem weiteren griechischen Philosophen). Die goldene Regel ist die Balance von Gegenseitigkeit, das Gute. Das Schöne ist nach Schiller so etwas wie ein Köder für das Gute, z.B. die Musik, von der eine Faszination ausgeht, die dann Gewalt zügelt. Zuletzt das Wahre, welches nach Platon der wirkliche Begriff von Religion aus der Philosophie ist.
2. Religionswissenschaft: Fantasie
Jegliche Interpretationen sind so unterschiedlich, wegen der Erwartungen der Menschen und aufgrund ihrer Vielfalt. Die Wurzel der Religion ist der Ist-Zustand, der sich nicht mit der Hoffnung und der Fantasie (Vorstellung, dass es anders sein könnte) deckt. Fantasien und Hoffnungen sind Strategien zur Wunscherfüllung, mit denen die eigene Erziehung nach diesen Modellen einhergeht. Nach Prof. Dr. von Brück ist die Fantasie „das kostbarste Gut, sie ermöglicht uns die Gestaltung nach einer Intention.“
→ Was bedeutet es, wenn Menschen an einen Schöpfergott glauben, der für das Gute der Welt spricht, gegen alle Evidenz? Was bedeutet es, wenn Menschen an einen Schöpfergott glauben, der Karma vertritt? Die Religionswissenschaft prüft, was der Glaube mit dem Menschen tut. Wann kann der Gottesglaube befreiend wirken? Es geht nicht um „Wahrheit“.
3. Theologie: Hermeneutik (Kunst der Auslegung)
Hierbei geht es um das, was wir interpretieren. Ist das Leben etwas Wahres? Nehmen wir alles wörtlich-dogmatisch? Nutzen wir die historisch-kritische Exegese? Warum ist die theologisch-hermeneutische Herangehensweise an Heilige Schriften so wichtig? Alle Traditionen und Auslegungen sind strittig, es gibt verschiedene Auffassungen. Es kommt auf Argumente an, nicht auf Machtauslegung. Was kann nebeneinander stehen? Was ist kontradiktorisch?
Nachdem er uns die drei Zugangsformen präsentiert hat, las der Religionswissenschaftler noch einen Satz vor: „Wer eine Religion kennt, kennt alle“, was seiner Meinung nach auch für die Mystik nicht stimmt, denn Vergleiche innerhalb der Religionen sind wichtig. Die Religionswissenschaft bemüht sich genau darum, um das Vergleichen. Dabei können wir auch wie Navid Kermani andere Religionen „kosten“. Die Beschäftigung mit anderen ist die Voraussetzung jeden Erkennens, anderer und von sich selbst. Wer vergleicht mit welchem Interesse? Handelt es sich um eine subtile Form der Machtausübung? Man sollte die eigene Position selbstkritisch als eine sehen, nicht als die allein selig machende. Eine Hermeneutik des Verdachts ist immer angebracht. Erfahrungen müssen kommuniziert werden, und in erster Linie mit sich selbst, denn das, was man sich einprägt, ist von Dauer. Alle Erfahrungen sind höchst subjektiv. Die Grenzen der eigenen Sicht werden nicht zuletzt durch die Sprache deutlich, die ein Fenster ist, durch das wir die Welt sehen.
Um jetzt zurück zur Hypothese zu kommen: Religionen sind Wahrnehmungen des Menschen. Es gibt die bewusste Instrumentalisierung von Religion, aber auch die Neuauflegung des Menschen.
Von: Sunem Oral